Ein Rabbi öffnet verschlosseneTüren am Golf

November 17, 2019

Kleine Zeitung
Von Ingo Hasewend
November 17, 2019

Dass mit Franziskus der erste Papst die arabische Halbinsel besuchte, war eine Sensation. Ebenso die Annäherung der Golfstaaten an Israel. Dahinter steht auch ein Rabbi mit Familienwurzeln in Wien: Marc Schneier

Als Papst Franziskus im Februar die Vereinigten Arabischen Emirate besuchte, wurde dies als Sensation gefeiert. Erstmals setzte ein Pontifex seinen Fuß auf die arabische Halbinsel und damit auf Mutterboden der heiligsten Stätten des Islams. Es ist der Höhepunkt eines Weges, der während des Pontifikats Pius XII. mit der Aufnahme von offiziellen Beziehungen zwischen dem Vatikan und islamischen Staaten geebnet wurde.

Im Tross war auch ein Mann, der oft als Eisbrecher am Golf bezeichnet wird. Marc Schneier war einer von sechs Rabbinern, die Franziskus von jüdischer Seite bei der Reise zu einer interreligiösen Konferenz in Abu Dhabi mitgenommen hat. Der New Yorker setzt sich seit 30 Jahren für den muslimischjüdischen Dialog ein und hat zuvor eine andere Sensation eingeleitet, die weit weniger im Blendlicht der Weltnachrichten stand. Denn zur Fußball-WM
2022 sollen Israelis unbehelligt nach Katar reisen dürfen undso sich das Nationalteam qualifiziert – soll Israel unter seiner Flagge und Hymne spielen.

Dies ist insofern ein Eisbrecher, weil viele islamische Länder seit Jahrzehnten wegen des Konflikts mit den Palästinensern israelische Sportler boykottieren. 1978 wurde Israel sogar aus allen asiatischen Sportverbänden ausgeschlossen. Bei Olympia 2016 in Rio hatte der ägyptische Judoka Islam El Shehaby dem Israeli Or Sasson demonstrativ den Handschlag verweigert. Noch 2018 beim Judo Grand Slam in Abu Dhabi wurde den Israelis ausdrücklich verboten, Landessymbole auf den Anzügen zu tragen und ihre Hymne zu singen. Erst nach dem Gewinn einer Goldmedaille und massiven Protesten kam es zur Entschuldigung.

Nun also eine Öffnung der Golfstaaten Richtung Israel, die umgehend sogar eine Reaktion aus Teheran erzeugte. Im Mai
kündigtedasNationaleOlympische Komitee des Iran an, dass es nun die olympische Charta anerkenne und Duellen mit Israel nichts mehr im Weg stehe.

Seit Jahren schon bereist Rabbi Schneier diskret die Golfstaaten und hat zu den dortigen Herrschern ein gutes Verhältnis aufgebaut. Ein direktes Ergebnis war der Besuch des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu im Vorjahr im Oman sowie weitere Reisen von Ministern in arabische Staaten. Der Papstbesuch war ebenso ein Zeichen für diese Öffnung.

„Das Oberhaupt der Katholiken empfing eine wahrlich einfühlsame Atmosphäre“, sagt Rabbi Schneier im Interview mit der Kleinen Zeitung. „Das war ein weiterer bedeutender Schritt für interreligiöse Zusammenarbeit und religiöse Vielfältigkeit am Golf“, sagt Schneier, dessen Vater Arthur 1930 in Wien geboren wurde, 1938 nach Budapest floh, dort
den Holocaust überlebte und 1947 in die USA auswanderte.

Marc Schneier hat mit seinen „muslimischen Kollegen“ oft am gegenseitigen Verständnis gearbeitet – oft unter Wahrung größter Geheimhaltung. Dies sei aber nicht schwer gewesen, erzählt der Rabbi. „Es gibt einen überwältigenden Wunsch, eine Beziehung zu Israel aufzubauen“, stellte Schneier fest. „Die meisten politischen und religiösen Führer am Golf erkennen, dass Israel zur politischen Realität in ihrer Region gehört“, sagt der US-Amerikaner. Eine gute Beziehung zu Israel werde aus drei Gründen als notwendig erachtet. Zunächst verbinde Israel und die Golfstaaten ein gemeinsames Sicherheitsinteresse gegenüber dem Iran. Vor allem aber erkenne man die wirtschaftlichen Chancen. SaudiArabien und die Emirate sehen ihre Rohstoffressourcen und den technologischen Vorsprung Israels, die man zusammenbringen will. Außerdem gibt es den Wunsch der Golfstaaten, ihre strategische Allianz mit den Vereinigten Staaten auszubauen, und dies gelinge am besten gemeinsam mit Israel, betont der Rabbi.

Jedenfalls freue sich Schneier über diese Annäherung. „Noch vor fünf Jahren sagte man mir, man habe nichts gegen Juden, nur gegen Israel“, sagt der New Yorker. Das habe sich maßgeblich geändert. Er prognostiziert einen baldigen ersten Schritt auf der arabischen Halbinsel hin zu diplomatischen Beziehungen mit Israel. „Vielleicht sehen wir dies noch in diesem Jahr.“ Im Gegenzug könnten die arabischen Staaten als Vermittler auf die Palästinenser positiv
einwirken. Das wäre dann auch ein Gewinn für Israel, betont Rabbi Schneier.

Click the link to read the original article. Kleine Zeitung 11.17.19