Die Presse
August 19, 2020
Rabbi Marc Schneier berät Entscheidungsträger in den Golfstaaten. Er geht davon aus, dass Israels Deal mit den Emiraten einen Dominoeffekt auslöst. Die Abwanderung des Abdullah-Zentrums aus Österreich sieht er als Verlust für Wien.
Die Presse: Die Vereinigten Arabischen Emirate erkennen als erster Golfstaat Israel an. Wie war das möglich?
Marc Schneier: Ohne Spannungen gibt es keine Deals. Es gab drei wichtige Faktoren, die diese Spannungen verursacht und schließlich das Abkommen ermöglicht haben. Erstens: die Covid-19-Pandemie. Ich habe von Verantwortlichen am Golf gehört: Mit unseren Ressourcen und Israels Technologie könnten wir gemeinsam eine Behandlung für Covid-19 finden. Zweitens: die Kontroverse rund um Pläne der israelischen Regierung, Teile des Westjordanlandes zu annektieren. Vor einem Monat hat mein guter Freund, der Botschafter der Vereinigten Arabischen Emirate in den USA, Yousef Al-Otaiba, in einem Gastkommentar für die israelische Zeitung „Yedioth Ahronoth“ geschrieben: „Setzt die Annexion aus!“ Der dritte Faktor ist die Bedrohung Israels und der Golfstaaten durch den Iran.
Dass Israels Annexionspläne auf Eis gelegt werden, war eine Bedingung für den Deal. Aber was passiert, wenn sie Israels Regierung später doch noch umsetzt?
Das wird nicht passieren. Laut den letzten Umfragen ist 84 Prozent der Israelis Frieden wichtiger als Land. Historisch ist im Judaismus das erste Prinzip das Streben nach Frieden. Land ist sekundär.
Aber Israels Premier, Benjamin Netanjahu, hat gesagt, dass die Annexionspläne trotz Abkommens nicht völlig vom Tisch seien.
Und Kronprinz Mohammed bin Zayed von den Emiraten hat wiederum gesagt, dass wir die Zwei-Staaten-Lösung für die Palästinenser gerettet haben. Alle müssen auch auf ihre rechte Flanke aufpassen. Ich schenke im Leben nicht so sehr Worten Aufmerksamkeit, sondern der Botschaft hinter den Worten: Und wir sind auf dem Weg zum Frieden.
Was werden die nächsten Schritte in dieser Annäherung sein?
Dieses Friedensabkommen stellt eine größere Chance dar als der Vertrag zwischen Israel und Ägypten und das Abkommen mit Jordanien. Denn im jetzigen Deal geht es um Möglichkeiten für Prosperität. Israel und die Golfstaaten könnten gemeinsam eine der wirtschaftlich stärksten Regionen der Welt bilden. Das ist eine Win-win-Situation für die Israelis, die Golfstaaten und die Palästinenser.
Aber die Palästinenser sind gegen das Abkommen.
Die Golfstaaten sind bereit, die Palästinenser ökonomisch zu stärken. Sie können viel zur Versöhnung beitragen.
Welche Golfstaaten werden als nächste Beziehungen zu Israel aufnehmen? Sie sind ein Berater des Königs von Bahrain. Welche Signale kommen von dort?
Das Abkommen zwischen den Emiraten und Israel wird einen Dominoeffekt haben. Bis Ende 2020 werden noch einer, wenn nicht zwei Golfstaaten die Beziehung zu Israel normalisieren. Im Rennen waren Bahrain, die Emirate, Oman, Katar und Saudiarabien, Kuwait war hinterher. Die Emirate sind als Erste durch die Ziellinie. Ich denke: Das nächste Land, das auf Israel zugeht, wird Bahrain sein. Seit ich Bahrains König zum ersten Mal getroffen habe, hat er wiederholt den Wunsch nach Beziehungen zu Israel geäußert.
Und was ist mit Saudiarabien?
Die jüngere Generation rund um Kronprinz Mohammed bin Salman will die Annäherung an Israel. Bei Saudiarabien ist es keine Frage des Ob, sondern des Wann.
Geht es bei den Abkommen der Golfstaaten mit Israel auch um eine politische oder sogar militärische Allianz gegen den Iran?
Es ist keine Frage, dass die Golfstaaten eine Art von Allianz mit Israel schaffen wollen – einem Partner, der sie gegen den Iran und dessen Alliierte verteidigen kann. Wie oft hat der König von Bahrain zu mir gesagt: Rabbi, unsere einzige Hoffnung dafür, eine starke arabische Stimme am Golf zu haben, ist ein starkes Israel. Das jetzige Abkommen der Emirate mit Israel ist ein erster Schritt dazu.
Sie haben innerhalb der Strukturen des König-Abdullah-Zentrums KAICIID in Wien gearbeitet. Jetzt verlässt das in Österreich umstrittene Zentrum Wien und übersiedelt nach Genf.
Ich weiß nicht, warum jemand an einem Ort weitermachen sollte, an dem er nicht willkommen ist. Das ist ein Verlust für Wien und ein Gewinn für Genf. Ich erinnere mich noch an die ersten Veranstaltungen, aus denen dann KAICIID hervorging. Damals gab es noch viele Vorurteile und Missverständnisse im jüdisch-muslimischen Verhältnis. Ich habe bei meinen Treffen mit Politikern am Golf gemerkt, wie das abgebaut wurde. Der interreligiöse Dialog spielte eine wichtige Rolle für das Abkommen der Emirate mit Israel.
Zur Person
Rabbi Marc Schneier ist Vorsitzender der Foundation for Ethnic Understanding in New York, die sich mit dem jüdisch-muslimischen Dialog beschäftigt. Zugleich gilt Schneier als Berater von Spitzenpolitikern am Golf, etwa des Königs von Bahrain, Hamad bin Isa Al Chalifa.
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