Israels neue Freunde

January 25, 2019

Neue Zurcher Zeitung
By Ulrich Schmidt
January 25, 2019

Jahrzehntelang erschien die Feindschaft ewig und unüberwindlich. Nun öffnet sich ein muslimisches Land nach dem andern dem Judenstaat Israel. Manche glauben an eine lichte Zukunft.

Schritte in Richtung Annäherung: Israels Premierminister Benjamin Netanyahu besucht im Oktober 2018 Oman und trifft dort unter anderem Sultan Qaboos bin Said. (Bild: Israel Prime Minister Office / Handout via Reuters)

Er gehört zu den prominentesten und kontroversesten Rabbinern in der farbigen Welt der jüdischen Orthodoxie. Wenn der amerikanische Rabbi Marc Schneier nach Jerusalem kommt, lohnt es sich, alles fallen- und liegenzulassen. Der Geistliche ist immer gut für ein paar sensationelle Sprüche. Beispiele gefällig? «Die jüdisch-muslimischen Beziehungen sind weit vielversprechender als die jüdisch-christlichen.» «Ich betrachte Iran als Segen.» «In Bahrain fühle ich mich mit Kippa sehr viel besser als in Berlin.» «Wenn sich Israels intellektuelle Kraft und das Geld der Saudi vereinen, entsteht ein Powerhouse.» Fazit: «Israel und die Araber kommen sich näher.»

Wir treffen Schneier im King-David-Hotel. Der Rabbi ist 60 Jahre alt und ein passionierter Verfechter des interreligiösen Dialogs. Als Gründer der Foundation for Ethnic Understanding bringt er seit langem Juden und Schwarze in den USA ins Gespräch – und seit 15 Jahren auch Muslime und Juden. Dazu reist er oft in den Golf. Er kennt Könige, Emire und Sultane und geht in ihren Palästen ein und aus. 2007 hat er dem damaligen saudischen König Abdullah seine erste interreligiöse Initiative vorgetragen, «Newsweek» sah ihn einst unter den fünfzig einflussreichsten Rabbinern in den USA. Heute nun will Schneier über seine Vision eines Israel sprechen, das mit den arabischen Ländern Frieden schliesst.

Tauwetter auch in Afrika

Tatsächlich kommen sich Juden und Araber schon seit einiger Zeit näher. Ende Oktober besuchte Ministerpräsident Benjamin Netanyahu überraschend Oman und machte Sultan Kabus seine Aufwartung. Wenig später begab sich auch der Transportminister Israel Katz nach Maskat und warb für seinen Plan, Israel und den Golf mit einem Hochgeschwindigkeitszug zu verbinden. Miri Regev, Israels Kulturministerin, vergoss Tränen, als ihre Judoka im November in Abu Dhabi einen Gegner nach dem andern auf die Matte beförderten. Und nicht nur am Golf beschnuppern sich Juden und Muslime: Drei irakische Delegationen besuchten in den letzten Monaten Israel, um Projekte zu besprechen. Sie trafen Regierungsbeamte und besichtigten sogar die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. In wenigen Wochen wird Israel Mitglied eines neu kreierten «Gas-Forums des östlichen Mittelmeers», dem etliche arabische Nationen angehören.

Der amerikanische Rabbi Marc Schneier (l.) mit dem saudiarabischen Aussenminister Adel Al Jubeir. (Bild: PD)

Tauwetter herrscht aber auch in immer mehr afrikanisch-muslimischen Ländern: Am Samstag flog Netanyahu zu einem zweitägigen Besuch nach Ndjamena in Tschad, womit er die historische Visite beantwortete, die Präsident Idriss Déby Israel Ende November abgestattet hatte. Die Sudanesen hatten dafür bereitwillig ihren Luftraum zur Verfügung gestellt. Tschad und Israel verkündeten die Aufnahme offizieller Beziehungen. Netanyahu sagte, der Besuch spiegle Israels wachsendes Ansehen. Auch der Präsident Malis plant bereits einen Besuch.

Woher dieses Hochgefühl? Wenn Juden mit Arabern gemeinsame Sache machten, wurde das in der Vergangenheit oft gar nicht gerne gesehen. Netanyahu gehörte zu denjenigen, die den damaligen Regierungschef Yitzhak Rabin hart für seine Politik des Ausgleichs mit den Palästinensern kritisierten und kein gutes Haar am Oslo-Prozess liessen. Viele Israeli machen ihn indirekt für die Ermordung Rabins verantwortlich. Nun aber bewirtschaftet Netanyahu seinen eigenen arabischen Frühling völlig unverhohlen und will ihn gar zum Wahlkampfargument machen.

Rabbi Schneier, der grosse Mediator, leistet ihm politische Schützenhilfe, wenn er sagt: «Die Araber brauchen Israel.» Nicht dass Riad demnächst eine Botschaft in Jerusalem eröffnen werde. Die Affäre Khashoggi war der israelischen Regierung hochnotpeinlich, fürs Erste hat man die Erwartungen heruntergeschraubt. Doch Netanyahu habe klargemacht, dass er Saudiarabien noch immer als «Pfeiler der Stabilität» in der Region betrachte.

Rabbi Schneier im Gespräch mit dem König von Bahrain, Hamad bin Isa Al Khalifa. (Bild: PD)

Der Umgang mit den Golfmonarchien, vor allem mit Bahrain, fällt Israel trotzdem leichter als der mit Saudiarabien. Man besucht sich. In Bahrain wird Hanukka gefeiert. König Hamad bin Isa Al Khalifa hat die Arabische Liga aufgefordert, die Boykottierung Israels fallenzulassen. Der Monarch pflegt gute Beziehungen zu Netanyahu und ermöglicht seinen Bürgern Reisen nach Israel. Als Iran im Mai Dutzende von Raketen gegen Israel abschoss, erklärte der König, Israel habe das Recht, sich zu verteidigen – eine implizite Anerkennung des Existenzrechts. Interreligiöse Gruppen aus Bahrain haben Israel besucht. Israelische Fifa-Funktionäre waren in Manama, israelische Geschäftsleute sind es permanent. Und auch Rabbi Schneier leitete Ende Februar eine «Synagogen-Mission» nach Manama und sagte das, was er auch im King-David-Hotel sagt: «Ich bin so kühn und prognostiziere, dass wir in den nächsten zwei Jahren die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und den Golfstaaten sehen.»

Warum kann das funktionieren? Zum einen, weil es bei der heutigen Form der Annäherung nicht mehr um Krieg und Frieden gehe, sondern um Chancen, wie der Kulturwissenschafter Mordechai Kedar von der Bar-Ilan-Universität glaubt. Zum andern, weil es Netanyahu sei und kein Linker, der den Arabern die Hand reiche. Kedar ist ein Konservativer, der dem arabischen Schmusekurs Netanyahus dennoch einiges abgewinnen kann. So sähen viele arabische Staaten in Israel heute das einzige Land, das in der Lage sei, Iran anzugreifen. Das werde honoriert. Zudem hätten die arabischen Regime Palästina schlicht aufgegeben, so Kedar. Auf die Zusagen der Araber sei allerdings kein Verlass: Israel dürfe niemals Zugeständnisse in Form von Land oder Sicherheitsinteressen machen.

Uzi Rabi, Direktor des Moshe Dayan Center for Middle Eastern and African Studies, ist weit liberaler als Kedar, sieht die Lage aber ähnlich. Dass Rabbiner wie Schneier von einer lichten jüdisch-muslimischen Zukunft träumen, sei unvermeidlich, sagt Rabi, «das ist ihr Job». Doch für Israel eröffnen sich tatsächlich Perspektiven. Die Araber sind schwach und resigniert. «Amerika hat die Region verlassen, Iran droht.» Einst galt der Zionismus als verdammenswert, da säkular und expansiv, und Israel war der teuflische Agent des Westens. Heute, sagt Rabi, sähen arabische Führer im Golf in Israel einen Stabilitätsanker und für afrikanische Länder wie Tschad sei Israel gar so etwas wie eine Mini-Supermacht. Eine bemerkenswerte Karriere. Also lohnt sich der Vorstoss in den muslimischen Raum, solange man die Sache nicht an die grosse Glocke hängt. Nicht wegen der Israeli. Die schlucken das locker und betrachten die Ausweitung ihrer Einflusssphäre als politischen Erfolg: «Sie haben genug von Europa und mögen es, wenn jemand sie schätzt.» Doch die arabischen Führer müssen vorsichtig sein. In ihren Völkern hat sich der Antijudaismus gehalten.

Bahrain als Vorreiter

Von den «sechs Pferden» des Golfkooperationsrats, die ins Rennen um die Anerkennung Israels gegangen sind, sieht Schneier Bahrain als Erstes durchs Ziel gehen. Doch Katar, das superreiche Emirat nebenan, holt auf. Ausgerechnet Katar, der Outcast, isoliert von Saudiarabien, Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten? Ja, denn auch in diesem Fall wirkt Iran im Schneierschen Sinne segensreich. Katar ist das Hassobjekt der Boykotteure schlechthin. Riad, Abu Dhabi und Manama verabscheuen Doha als heimlichen Agenten Irans und als Mentor der verhassten Muslimbrüder. Als Gegenstrategie erprobt Katar die Annäherung an Israel. Es ist ein Spiel über die Banden. Um die Amerikaner, vor allem Donald Trump, für sich einzunehmen, hat Katar Israel einer regelrechten Charmeoffensive ausgesetzt. Israelische Sportler sind willkommen, Geschäftsleute ebenso, fast täglich hört man in den Medien freundliche Worte für Netanyahu.

Ganz besonders gezielt bearbeitet Katar die Vertreter des rechten Flügels der jüdischen Diaspora in den USA. Der Grund ist ein simpler: Man will denen nahekommen, die bei Trump Gehör finden. Es hagelte Einladungen nach Doha. Mort Klein war da, Chef der Zionistischen Organisation Amerikas und einer der wichtigsten jüdischen Aktivisten. Mike Huckabee kam, der unerhört christliche Prediger und einstige Präsidentschaftskandidat der Republikaner aus Arkansas. Selbst Alan Dershowitz, Autor, liberaler Menschenrechtsanwalt und engagierter Kämpfer für die Sache Israels, liess sich bezirzen, und zwar so sehr, dass er nach seiner Visite Katar als «das Israel der Golfstaaten» bezeichnete. Das war den Skeptikern dann doch etwas allzu blumig. Es kam in der jüdischen Diaspora zu einem heftigen Streit mit all denjenigen, die den Arabern keinen Meter weit über den Weg trauen und daran erinnern, dass der Sender al-Jazeera, beheimatet in Doha, antiisraelisch eingestellt ist und dass Katar der Hamas nahesteht. Manche sagen, Dershowitz und Konsorten seien wohl gekauft worden oder unendlich naiv.

Nur ein Staat des Golfrates tanzt aus der Reihe: Kuwait. Hier herrscht noch immer die alte Eiszeit. Kuwait Airways duldet keine Israeli an Bord ihrer Flugzeuge, der Staat Kuwait keine israelischen Sportler in seinem Land, und auch in interreligiöser Hinsicht läuft laut Rabbi Schneier gar nichts. Im Uno-Sicherheitsrat haben die Vertreter Kuwaits die jüngsten israelischen Operationen an der Grenze zu Libanon, die nach der Auffindung von Tunneln des Hizbullah kamen, harsch verurteilt (Bahrain dagegen äusserte Verständnis). Warum dieses Abseitsstehen?

Auf Israel warten grosse Aufgaben

Ein Blick in die Vergangenheit gibt Aufschluss. Kuwait ist seit je ein engagierter Streiter für die Sache der Palästinenser. Yasir Arafat lebte jahrelang hier, viele seiner Mitstreiter ebenfalls, die Fatah wurde in Kuwait gegründet. Doch dann kam der grosse Bruch. Nach Saddam Husseins Invasion Kuwaits solidarisierte sich Arafat mit dem irakischen Präsidenten, was zur Folge hatte, dass nach dem Sieg der Amerikaner fast eine halbe Million palästinensische Gastarbeiter als Verräter und Kollaborateure aus Kuwait vertrieben wurden. Lange tat sich Kuwait deshalb schwer mit der Unterstützung der Palästinenser. Heute aber will Kuwait sein Abseitsstehen nach dem Golfkrieg vergessen machen und an die heroischen alten Zeiten anknüpfen. Es sucht die Nähe zur Volksseele, die die übrigen Golfstaaten mit ihren Knicks vor Israel grob missachten. Und es will seine diplomatische Unabhängigkeit herausstreichen, um in der Boykott-Krise zwischen Riad und Doha vermitteln zu können.

Man kann sich natürlich fragen, was genau Israel davon hat, wenn sein Name in einem Atemzug mit Staaten genannt wird, die Regimegegner töten und die Demokratie verachten. Aber den kühnen und merkantil vielversprechenden jüdischen Vorstoss an den Golf und nach Afrika zu tadeln, wäre dann doch recht verlogen. Der Westen hat die Potentaten, die Netanyahu jetzt umgarnt, jahrzehntelang hofiert. Die Welt kauft das Öl und das Gas des Golfes, Donald Trump mag vom mörderischen Kronprinzen nicht lassen, und wenn Deutschland die Waffenlieferungen an Riad aussetzt, ist das nur eine taktische Konzession: Kaum ist Gras über die Sache gewachsen, blühen auch die Geschäfte wieder auf. Was dem Westen frommt, darf auch Israel nützen. Und wer weiss, vielleicht kann Israel sogar segensreich wirken. Rabbi Schneier jedenfalls glaubt, dass die Regierung Netanyahu bei der Beilegung der Krise zwischen Saudiarabien und Katar eine wichtige Rolle spielen könnte. Israel als Mediator im arabischen Raum? Auf den Judenstaat warten Herausforderungen.

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